New feature unlocked

Künstliche Intelligenz an der Uni

Das Motto des neuen Semesters: Zurücklehnen und ChatGPT für dich studieren lassen?

Na ja, nicht ganz. „Ich habe ChatGPT als Betreuer meiner Masterarbeit genutzt, vor allem beim Statistik-Teil. Es hat mir zwei Statistik-Tools erklärt und mir gesagt, wie ich vorgehen und die Ergebnisse interpretieren kann“, erzählt Philipp (25), ein Student aus dem Wirtschaftsbereich. Bei Jolanda, Studentin der Kommunikationswissenschaft, war das Programm gar keine Hilfe: „Vielleicht habe ich die Aufgabe nicht gut genug formuliert, aber ChatGPT hat bei meiner Seminararbeit nix genutzt. Nur bei der Literatursuche gabʼs ein paar gute Tipps, aber den Text habe ich im Endeffekt komplett selbstständig geschrieben.“

Apropos selbst geschrieben: Was denkt ihr, hat ChatGPT den funny Titel dieses Artikels generiert? To be honest: Jein. Klar habe ich es ausprobiert und auch ein paar gute Vorschläge bekommen. Davon ist es dann keiner geworden, aber die Schlagworte haben mich schlussendlich auf diese Gaming-Anspielung gebracht. Auch das ist KI. Einfach mal Ideen durchspielen.

Jetzt sind wir auch schon direkt im Thema. Oder müssen wir hier noch jemandem erklären, was KI und ChatGPT sind? Kurz zur Klarstellung, damit wir auf demselben Nenner sind: Künstliche Intelligenz ist, wie der Name schon sagt, Intelligenz, die von Maschinen oder Programmen verwirklicht wird. Sie soll intellektuelle Aufgaben lösen können und tritt mittlerweile in ganz unterschiedlichen Formen auf. Seit der Veröffentlichung vor knapp einem Jahr ist das Large Language Model ChatGPT ein heißes Topic in eigentlich jedem Berufsfeld. Der Chatbot hat mit dem System des Deep Learning vereinfacht gesagt das Internet auswendig gelernt und kann dir Fragen beantworten und Texte schreiben – sofern er (oder sie?) Daten dazu findet. Das klingt erst einmal nach dem Traum aller prokrastinierenden Studierenden, aber wenn man weiterdenkt auch irgendwie beängstigend und auf alle Fälle: hochkomplex!

Das Szenario bei der Einführung einer neuen Technologie oder eines neuen Mediums ist grundsätzlich immer gleich: Die einen feiern es als eine tolle Innovation und die anderen verteufeln es. Das hat sich in der Geschichte von der Einführung des Radios über das Fernsehen bis zum Internet immer wieder gezeigt. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte.

Matthias Leichtfried ist Post-Doc am Institut für Germanistik an der Uni Wien und beschäftigt sich in seiner Forschung nicht nur mit der Digitalisierung der Lehre und vor allem des Deutschunterrichts, sondern im Zuge dessen auch intensiv mit dem Thema künstliche Intelligenz. Er war einer der Mitwirkenden der Arbeitsgruppe zu dem Thema an der Uni Wien und hat die Guidelines zu „KI an der Uni“, die den Lehrenden der Uni Wien seit diesem Semester zur Verfügung stehen, mitgestaltet. Er möchte noch vor der konkreten Anwendung von KI und Diskussionen zum praktischen Einsatz an der Uni einen Schritt zurücktreten und sich ganz grundsätzliche Fragen stellen: Welche Kompetenzen sollen die Studierenden am Ende des Semesters haben? Welche Implikationen hat diese KI? Wie wollen wir diese in unserer Gesellschaft nutzen? Was soll die KI für uns können? Wie verändert sich Wissensarbeit? Und dann natürlich auch: Wie können wir den jungen Menschen an der Uni den „richtigen“ Umgang mit dieser neuen Technologie näherbringen?

Was kann KI?

Leichtfried sieht das Potenzial der KI hauptsächlich in der kommunikativen Fähigkeit. „Gerade in der Didaktik kann es als Gegenüber verwendet werden, das die richtigen Fragen stellt und einen auf blinde Flecken aufmerksam macht. Man muss die Dinge komplex zusammenfassen. Außerdem muss man sehr kritisch an die Antworten herangehen und schauen, ob das Sinn macht.“  Die Überprüfung der Argumente durch den Menschen muss immer gegeben sein. Leichtfried vergleicht ChatGPT mit einem beschwipsten Gesprächspartner: Dieser sagt bestimmt auch gescheite Sachen, man sollte aber Vorsicht walten lassen und sich nicht auf alles verlassen. Vielleicht bringt er dich aber auf gute Ideen. Eine weitere Metapher kommt von Sam Altman, dem CEO von OpenAI – er vergleicht ChatGPT mit einem „e-bike for the mind“. Das Wichtige dabei: Man muss unbedingt vorher schon Fahrrad fahren können, sonst wird es gefährlich. Der Motor des Bikes kann also nur unterstützen, du musst dich trotzdem vorher schon auskennen und dann die Expertise haben, um die Ergebnisse des Chatbots nach ihrer Sinnhaftigkeit überprüfen zu können. Bleiben wir bei der Metapher: Ein Rennen zwischen einem regulären Fahrrad und einem E-Bike wäre unfair, oder? Also wie gehen wir mit dem Einsatz von KI bei der Leistungsüberprüfung um? Student*in A schreibt die Prüfung mit ChatGPT und Student*in B ohne, die Benotung läuft aber nach demselben System?

Was ist erlaubt?

In den bereits erwähnten Guidelines der Uni Wien wird festgelegt, dass die Lehrveranstaltungsleiter*innen vorgeben müssen/sollen, wie mit KI in ihrer Vorlesung umgegangen werden soll. Mathias Leichtfried bietet in diesem Semester selbst eine LV an, in der er die Studierenden ermutigen möchte, kreativ mit den neuen Werkzeugen umzugehen: „Ich sehe die Potenziale in dem Entwurfsmodus. Einfach mal ausprobieren und sich vielleicht inspirieren lassen. Es wird immer die menschlichen Komponenten und Skills brauchen. In meinem Fall: Angehende Deutschlehrer*innen können KI als Ideenbringer und Dialogpartner verwenden. Ein Beispiel: Man könnte durch ChatGPT ein Gespräch mit einer Figur in einem Roman führen. Wichtig dabei: Der Mensch bleibt immer der wichtigste Faktor.

Leichtfried gibt weiters zu bedenken: „Objektivität in der Leistungsbeurteilung ist sowieso nicht gegeben. Einheitliche Kriterien sind schwierig zu finden. Leistung kann nie objektiv erhoben werden, daher lautet die Frage eher: Welche Hilfsmittel kann man verwenden?“ Diese müssen genau definiert sein und dann ändert sich eigentlich nicht so viel: Auch vor ChatGPT konnte man nicht sicher sein, wer den vorliegenden Text geschrieben hat. Dazu kommt noch die Frage: Wozu studiere ich überhaupt, wenn ich mir nur Leistungen erschummeln will?

„Objektivität in der Leistungsbeurteilung ist sowieso nicht gegeben. Einheitliche Kriterien sind schwierig zu finden. Leistung kann nie objektiv erhoben werden, daher lautet die Frage eher: Welche Hilfsmittel kann man verwenden?“ – Dr. Matthias Leichtfried

Alisa (23) hat ChatGPT für ihre Bachelorarbeit in Orientalistik verwendet: „Ich habe eine Frage gestellt und eine Antwort inklusive Quellen erhalten. Das habe ich dann umgeschrieben und die Quelle weiter benutzt, sofern sie passend war. Ab und zu hat mir das Programm auch Quellen angegeben, die ich nicht gefunden habe. Vielleicht existieren sie gar nicht. Es ist cool und hilfreich, wenn man es als Unterstützung verwendet. Aber ich würde nicht alles davon nehmen, ohne es wirklich nachzukontrollieren.“ Alisa meint selbst, dass es für sie keinen Zweck hätte, eine Arbeit erstellen zu lassen, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Die Frage nach dem Sinn eines Studiums ist individuell: Geht es darum, auf ECTS-Jagd so schnell wie möglich durchs Semester zu rasen, oder geht es darum, als Mensch zu wachsen, sich mit komplexen Dingen zu beschäftigen und vor einem Paper zu sitzen, bis der Kopf raucht?

Auch Maximilian Brockhaus sagt dazu: „Vorrangig geht es an der Uni darum, Studierende zu mündigen und kritischen Personen auszubilden. Die Frage, wie das geschehen kann, hat große Auswirkungen auf die Gestaltung des Uni-Alltags und natürlich auch auf die Leistungsüberprüfung.“ Brockhaus ist seit zwei Jahren Prä-Doc am Institut für Zeitgeschichte und beschäftigt sich unter anderem mit der Geschichte des Schulfernsehens und dem Einsatz von neuen Medien und Technologien für die Lehre. Um dem Thema noch etwas mehr Komplexität zu verleihen, startet auch die Diskussion um neue Prüfungsmodalitäten mit den Fragen: Wie wird Wissen generiert? Und wie wird es abgefragt? Hat sich das Prüfungssystem zu sehr in Richtung reine Faktenabfrage entwickelt? „Ich denke nicht, dass Studierende Angst haben müssen, dass alles schwieriger wird. Jetzt gibt es eine große Chance für Umgestaltung. Das kritische Bewerten von Quellen und Informationen ist doch einer der größten Skills, die wir vermitteln wollen“, so der Experte. Die Medienkompetenz, zu erkennen, was wissenschaftlich ist und was nicht, wird eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre werden. 

Natürlich wird es in dieser Übergangsphase, in der wir uns befinden, neue Regeln geben müssen: Es wäre sinnvoll, Essayprüfungen vor Ort und nicht online abzuhalten, weil die Überprüfung, ob nun ChatGPT für den Text verwendet wurde, schwierig wird. Eine Richtlinie der Uni Wien setzt im Verdachtsfall sogenannte Plausibilitätschecks ein, also ein verpflichtendes mündliches Gespräch.

Hier wird nicht das Wissen abgeprüft , sondern ergründet, wie die Antwortfindung stattgefunden hat. Eine Verlagerung der Prüfungsmodi auf den mündlichen Bereich ist also sicher ein Thema, das aufkommen wird. Aktuell kommt man der Entwicklung der KI aber fast nicht hinterher. Auch Brockhaus gibt zu: „Die KI entwickelt sich schneller, als bürokratische Institutionen das können. Gerade sind wir noch in der Phase des Schocks und der Überforderung und im besten Fall lernen wir daraus und experimentieren, damit wir im letzten Schritt alles gut integrieren können.“

Nächster Schritt: Weltherrschaft?

Die Zukunftsszenarien und Utopien, die kursieren, sind zahlreich und reichen bis zur Übernahme der Weltherrschaft durch Roboter. Die Sorge ist legitim. Matthias Leichtfried steht der KI mit positiver Neugierde gegenüber und kann die Kritik trotzdem verstehen: „Ich denke nicht, dass es die ultimative Revolution sein wird. Man sollte die KI nicht unterschätzen und es gibt immer das Problem, dass Menschen Technologien falsch verwenden. Die KI hat selbst aber keine Agenda, es sind immer menschliche Entscheidungen, die getroffen werden. Darum ist es so wichtig, Entwicklungen kritisch zu begleiten und Menschen zu haben und auszubilden, die das alles beobachten, analysieren und kritisch betrachten.

„Wir sollten nicht vergessen, dass wir es noch in der Hand haben. Wir brauchen Erfahrungswerte. Weder sollte man sich konservativ dagegenstellen, noch würde ich die KI als neues Wundermittel sehen. Ein Mittelweg aus Vorsicht und Kreativität im Austausch mit den Kolleg*innen und Lehrenden wäre ideal.“ – Maximilian Brockhaus

Auch Maximilian Brockhaus plädiert für mehr Regulierung, wie den kürzlich verabschiedeten AI Act der EU. „Es müssen in jedem Fall rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wir brauchen Checks, Balances, Regulierung. Man muss mit dieser Überforderung und Angst umgehen und diese ernst nehmen. Menschen können schlecht mit Verunsicherung umgehen, weil man ja nicht nur mit KI konfrontiert ist, sondern auch noch mit den Auswirkungen der Coronapandemie, der Klimakrise, Kriegen und allgemeiner Verunsicherung etc. leben muss.“

Wie in den meisten Fällen ist jedoch die Angst nur mehr halb so groß, wenn man sich mit Dingen einfach befasst, daher fordern sowohl Brockhaus als auch Leichtfried die Studierenden immer dazu auf, ChatGPT auszuprobieren. „Vor allem angehende Wissenschafter*innen sollten neugierig sein, also ausprobieren, die Sache entmystifizieren und Berührungsängste abbauen“, ruft Leichtfried auf. Wer sich etwas mehr mit der KI auseinandersetzt, entdeckt auch sehr schnell ihre Grenzen: Ob Bücher zitiert werden, die nicht existieren, oder Chlor als Zutat im Kochrezept angegeben wird – das Tool ist nicht allwissend, halluziniert regelmäßig und ist nicht fähig, neues Wissen zu generieren. In vielen Fällen kannst du dich also entspannt zurücklehnen: ChatGPT wird nicht morgen deinen Job machen können.

Brockhaus ergänzt: „Wir sollten nicht vergessen, dass wir es noch in der Hand haben. Wir brauchen Erfahrungswerte. Weder sollte man sich konservativ dagegenstellen, noch würde ich die KI als neues Wundermittel sehen. Ein Mittelweg aus Vorsicht und Kreativität im Austausch mit den Kolleg*innen und Lehrenden wäre ideal. Die Lehrenden können viel von den Studierenden lernen, gerade weil sich jüngere Generationen oft weniger voreingenommen zeigen. Die Technologie geht nicht mehr weg, und das ist die Realität, mit der wir uns befassen müssen. Wir können die Zukunft mitgestalten und dessen sollten wir uns bewusst sein!“


Dieser Artikel ist zuerst in unserem Karrieremagazin Rise erschienen. 

Autorin: Anna Gugerell